Wirtschaft und Politik | HANDWERK IN BERLIN 2023 - 1Damit das Handwerk in den Kiezen bleibt
Das Wachstum der Stadt Berlin ist ein zweischneidiges Schwert für das Handwerk: Auf der einen Seite beschert es den Betrieben eine Vielzahl an Aufträgen, auf der anderen Seite werden die verfügbaren Gewerbeflächen dadurch immer knapper und teurer. Die Mieten explodieren, der Verdrängungsdruck in den Kiezen wird größer. Der verstärkte Bau von Gewerbehöfen soll dem nun entgegenwirken.
Einen „Gewerbehof der Zukunft“ etwa plant die Senatsverwaltung für Wirtschaft, Energie und Betriebe in Lichtenberg. Der erste landeseigene Gewerbehof soll in der Bornitzstraße auf einer landeseigenen, 12.000 Quadratmeter großen Liegenschaft entstehen. Finanziert und gemanagt werden soll das Projekt von der Adlershofer WISTA Management GmbH.
Ende vergangenen Jahres gaben WISTA-Chef Roland Sillmann, Handwerkskammerpräsidentin Carola Zarth und Wirtschaftssenator Stephan Schwarz (parteilos) den Startschuss für das 60-Millionen-Euro-Projekt. „Vor zehn Jahren erreichte uns bei der Handwerkskammer mal alle vier Wochen ein Anruf von Betrieben, die von Verdrängung bedroht sind. Heute rufen fast täglich betroffene Betriebe an“, berichtete Zarth.
Das Thema liege ihr seit ihrem ersten Tag als Kammerpräsidentin am Herzen. „Wir wollen die Betriebe in den Kiezen halten.“ Schließlich seien die Menschen auf das Handwerk in unmittelbarer Nähe angewiesen. Das Besondere bei dem Projekt in Lichtenberg ist: Auf dem landeseigenen Gewerbehof wird nicht nur Platz für das Handwerk sein. Auch Start-ups sollen einziehen. Ziel ist, dass sich klassische Handwerkstätigkeit mit digitalem Know-how und Gründungsideen
vermischt.
Wirtschaftssenator Stephan Schwarz nannte das Konzept „eine befruchtende Symbiose“. Die Bauarbeiten für den Gewerbehof, der bis zu fünf Etagen umfassen und in modularer Bauweise gebaut werden soll, haben noch nicht begonnen. Die Fertigstellung werde wohl fünf Jahre dauern, sagte WISTA-Chef Sillmann.
Dass die öffentliche Hand in Berlin Gewerbehöfe als Instrument zur gewerblichen Standortsicherung nutzt, ist kein neues Phänomen. 1965 hatte der Berliner Senat unter Einbezug der Handwerkskammer Berlin und der Industrie- und Handelskammer zu Berlin die Gewerbesiedlungs-Gesellschaft (GSG Berlin) gegründet. Ihre Aufgabe war es, kleine und mittelständische Unternehmen zu fördern und ihnen günstigen Gewerberaum zur Verfügung zu stellen.
Das Unternehmen wurde 2007 jedoch vom Senat verkauft. Das Projekt in Lichtenberg sei ein „neuer Ansatz“ und möglicherweise die „Keimzelle für eine neue GSG“ als Instrument der Wirtschaftsförderung, sagte Wirtschaftssenator Schwarz.
Ein ganzes Gewerbehöfe-Quartier – wenn auch nicht in öffentlicher Hand – entsteht des Weiteren derzeit in Schmargendorf. Auf dem ehemaligen Gelände der Reemtsma-Zigarettenfabrik in der Forckenbeckstraße wird das Projekt „Go West“ – das größte Projekt dieser Art in Berlin – gebaut. Das Konzept sieht eine diversifizierte, gewerbliche Nutzung vor. Unter anderem soll ein Handwerkerhof in Blockstruktur entstehen.
Mitte Februar war der offizielle Spatenstich. Handwerkskammerpräsidentin Carola Zarth sagte anlässlich dessen: Die „Flächenkonkurrenz zwischen neuem Wohnraum und bestehenden Gewerbenutzungen verdrängt immer mehr Handwerksbetriebe aus ihren angestammten Kiezen.“ Dabei könne man sich auf dem Weg zu einer klimaneutralen Stadt erst recht keine langen Anfahrtswege derjenigen leisten, „die die Stadt am Laufen halten und an der Klimawende in Berlin mit bauen sollen.“ Das Projekt in Schmargendorf sei nun der Beweis, dass es auch anders gehe.
Das 7,4 Hektar große Gelände wird in den kommenden fünf Jahren von der Forckenbeckstraße aus erschlossen. Die Pläne sehen rund 180 000 Quadratmeter Gewerbefläche vor, die sich auf zwölf Gebäude verteilen. Realisiert wird das neue Zukunftsquartier von dem Berliner Projektentwickler Die Wohnkompanie gemeinsam mit der Gustav Zech Stiftung aus Bremen. Kosten: etwa eine Milliarde Euro.
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